Doch kein Hardtail: Nicht nur aus optischen Gründen verschwindet bei Bold Cycles der Dämpfer im Rahmen.Fotos: Stefan Schopf
Hersteller Mountainbiken Ausrüstung

Die, die den Dämpfer verstecken: Zu Gast bei Bold Cycles

Bold Cycles wider den Einheitsbrei:
In der Schweiz zu Gast bei einem der innovativsten Start-ups der Bike-Branche.

Es ist ein ungemütlicher Vormittag im November. Nebelschwaden verhüllen die Gipfel zwischen Piz Chaschauna und Munt Cotschen . Vor den Fenstern des Hotel Castell Zuoz beugen sich die Lärchen unter dem Nass. Die Tische biegen sich unter dem Frühstücksbuffet.

Nachdenklich betrachtet der Mann, der mit seinem Startup gerade die Bikebranche aufmischt, ein kleine Glasflasche. Seine Augen heften sich an die Schlieren, die die zähe Flüssigkeit hinterlässt. „Vielleicht“, konstatiert er, „vielleicht haben unsere Räder ja mehr mit diesem Sanddornsaft gemein als mit einem gesichtslosen Bike der großen Global Players.“

Vielleicht haben unsere Räder ja mehr mit diesem Sanddornsaft gemein als mit einem gesichtslosen Bike der großen Global Players.
Vincenz Droux

Dieser Satz ist nicht leicht zu verstehen, wenn man den Inhaber von Bold Cycles nicht kennt. Wer Vincenz Droux’ Bekanntschaft macht, erahnt, worauf er anspielt: das Destillat aus Persönlichkeit, Hingabe, Leidenschaft, das den Charakter eines Produkts definiert. Marketingversierte sprechen vom Markenkern. Vielleicht hat ein Bike, erschaffen aus einer Vision und weniger aus Vernunft, tatsächlich mehr mit diesem Sanddornsaft gemein als mit Rädern von der Stange, getrimmt auf Profit. Denn nachvollziehbar ist es aus ökomischer Sicht nicht, zu Fuß in den schwer zugänglichen Hängen des Bündner Domleschg Sanddornsträucher von Hand abzuernten und die Früchte mit zwei Eselinnen ins Dorfzentrum zu transportieren, wo sie ebenfalls händisch weiterverarbeitet werden. Menschen wie die Sanddornsammler Hartmann oder auch Droux verbinden branchenübergreifend Werte, die weit über einen rein ökonomischen Wert hinausgehen. Ihre Produkte sind die Essenz ihrer Überzeugungen. Der Erfinder des „Rubik Cube“ brachte es einst im Interview auf den Punkt:

einestages: Was verdanken Sie dem Cube?
Ernő Rubik: Freiheit.
einestages: Was genau meinen Sie?
Ernő Rubik: Was kann man daran nicht verstehen? Es gibt nur eine Freiheit: zu machen, was du magst und wozu du talentiert bist.

Dieser Wortwechsel ist das Rezept zum Erfolg von Droux’ erst 2014 gegründetem Unternehmen. Selbstverständlich ist dieser Durchbruch nicht. Bold Cycles navigiert in einem nahezu gesättigten Markt, die Existenz ist nur möglich durch die Verdrängung von Mitbewerbern. Das Trailbike-Segment, in dem nahezu jeder Hersteller agiert, quillt im schnellen Rhythmus der Produktzyklen vor Me-too-Produkten über. Wir leben in einer Zeit, in der Holdings mit Namen wie Chiffres ihr Portfolio aufpolstern indem sie sich kleine Hersteller einverleiben. Deren Fortbestehen ohne den Einstieg von Investoren oftmals komplett besiegelt wäre. Denn es ist ein Ellbogen-Business, in dem es als Individualist mit geringen Stückzahlen immer schwieriger wird, überhaupt einen Produktionsslot zu bekommen. Geschweige denn mit Zulieferern marktgerechte OEM-Preise auszuhandeln. Es braucht einen langen Atem, große Überzeugung, – und die geistige Freiheit, ein so innovatives Produkt zu gestalten, dass selbst konsumübersättigte Menschen sich dafür begeistern können.

Es braucht einen langen Atem, große Überzeugung, – und die geistige Freiheit, ein so innovatives Produkt zu gestalten, dass selbst konsumübersättigte Menschen sich dafür begeistern können.

Szenenwechsel. Der Quell unserer Begeisterung entspringt dem Schmelzpunkt der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz, dem sogenannten Röstigraben. Aare und A1 durchschneiden das Mittelland. Parallel zur Autobahn schwingen sich rechterhand die Kalke des Schweizer Jura auf. Die Ausfahrt in Richtung Grenchen führt vorbei am lokalen Flughafen. Die Landebahn, so ließ sich gerüchteweise vernehmen, sei extra für den kürzlich verstorbenen BMC-Eigentümer und Phonak-Gründer Andy Rhis verlängert worden. Zu kurz für den Privatjet, den er sich einst mit einem der berühmtesten Radrennfahrer der Geschichte teilte. Tatsächlich landen hier noch ganz andere Schwergewichte.

Der Weg zu Bold Cycles führt vorbei an Breitling, ETA, Rolex, Omega und Swatch. Die steilen Hänge des Schweizer Jura sind seit jeher Heimat bedeutender Uhrenmanufakturen.

Die steilen Hänge des Schweizer Jura, das muss man wissen, sind seit jeher Heimat bedeutender Uhrenmanufakturen. Hier residieren die Big Player. Der Weg zu Bold Cycles führt vorbei an Breitling und ETA, einer Tochter der Swatch Group und einer der größten und wichtigsten Zulieferbetriebe der Branche. Etwa 70 Prozent aller Schweizer Uhrenmarken beziehen ihre Rohwerke von der ETA. Ein Stück weiter vorne dann Rolex, Omega und Swatch. Auch Bold Cycles residiert in den Räumen einer ehemaligen Uhrenmanufaktur. Unsere Vorstellung der anheimelnden Atmosphäre eines Jurahauses mit breitem Satteldach erfährt eine herbe Ernüchterung. Gegenüber einer abgehalfterten Tankstelle empfängt das Bold-Team in einem Zweckbau, rational und pragmatisch. Auch die Uhren-Industrie durchlebt ihre Höhen und Tiefen.

Trotzdem fühlt man sich sofort willkommen. Im Erdgeschoss schraubt Mechaniker Martón, 35, jedes einzelne der Bold Räder zusammen. Im trägen Nachmittagslicht dieses März-Nachmittags warten bereits mehrere Bikes mit Specs-Listen versehen auf ihre Fahrer. 200 Räder wechselten im ersten vollen Verkaufsjahr den Besitzer, Bold konnte 2016 bereits seinen ersten Abschluss mit schwarzen Zahlen verbuchen. 1/3 der Kunden sind Frauen. Gerade sie schätzen es, nicht mit Märchen von einer „eigenen Frauen-Geometrie“, die sich im Nachhinein als „dünnere Griffe oder Frauensattel“ herausstellt, hinters Licht geführt zu werden. „Den Frauen – und by the way – auch vielen Männern gefällt an unserer Womens Camp Edition einfach das Gesamtpaket aus Fahrverhalten, hochwertiger Ausstattung und Farbe.“ Er zeigt auf drei Räder. Die habe eine Bikerin direkt nach einem Event für sich und ihre Freundinnen bestellt. Bold hat früh die Weichen gestellt und durch die Teilnahme an Bike Camps für Frauen auch deutlich gemacht, Wert auf weibliche Kunden zu legen.

Bold Cycles erhält Gunstbezeugungen, von denen andere Marken nur träumen können: Ein Kunde braute ein eigenes “Bold Beer”, andere schicken regelmäßig Dankesschreiben ihrer schönsten Bold-Erlebnisse.

Events sind ein Schwerpunkt von Bolds Vertriebsstrategie. Weil sie mit ihrem Direktvertrieb den Fachhandel außen vor lassen, soll ihr Kunde andernorts die Möglichkeit zur ausgiebigen Testfahrt und kompetenter Beratung haben. Die diesjährigeTestflotte umfasst europaweit ca. 40 Räder, mit denen die Mitarbeiter und Partner den ganzen Sommer über unterwegs sind: vom MTB Festival Achensee über das Velovert Festival und das Glemmride Bikefestival Saalbach Hinterglemm bis zu den Womens Bike Camps. Und auch im Headquarter in Lengnau stehen nach vorheriger Anmeldung immer ein paar Bikes zum Testride bereit. „Es kam schon vor, dass ein Kunde morgens nur mal eben einen Testride machen wollte und davon so begeistert zurückkam, dass er sich direkt vor Ort sein Rad konfigurierte. Er wartete dann, bis es fertig zusammengebaut war und nahm es abends direkt mit. Seitdem nennen sie mich auch den ‚Live-Konfigurator’“, erzählt Martón grinsend. Wer sein Rad direkt im Laden abholt, bekommt es perfekt eingestellt – wenn es sein muss, auch außerhalb der offiziellen Geschäftszeiten. „Unsere Kunden schätzen diese Spontaneität und unseren Service ungemein. Und auch den persönlichen Kontakt mit unserem Team. Das bekommen wir immer wieder rückgemeldet.“ Es sind Gunstbezeugungen, von denen andere Marken nur träumen können: Ein Kunde braute ein eigenes „Bold Beer“, andere schicken regelmäßig Dankeschreiben ihrer schönster Erlebnisse mit ihren Linkin Trails.

Wie der Dämpfer in den Rahmen kam oder wie alles begann

Jede Marke lebt von ihren Mythen. „Unsere könnte so aussehen: Meine Mutter hat mir erst kürzlich erzählt, dass ich tatsächlich schon als Kind Erfinder werden wollte...“. Droux unterbricht sich und grinst. „Aber wahrscheinlich wollte ich in der nächsten Woche schon Feuerwehrmann werden und in der übernächsten Astronaut.“ Doch zunächst absolviert er eine Berufslehre zum Maschinenbauer, belegt dann an der Fachhochschule in Aarau den Studiengang Industrial Design. Nach dem Diplom macht Droux sich mit seiner eigenen Agentur selbständig und wickelt mit flow design unter anderem Aufträge für Kunden wie Stöckli, Stromer, Thömus, Scott und DT Swiss ab. „Es ist schön, Berufliches mit deinem Hobby verbinden zu können, aber befriedigt hat mich diese Konstellation nicht. Als externe Agentur übergibst du das Rahmendesign und ab dem Zeitpunkt ist dein Einfluss weg.“

Bei den großen Herstellern dauert es gefühlt Jahre, bis Informationen oder Feedback des Kunden beim Entwickler landen. Und dann kommt noch der Effekt ‚Stille Post’ dazu... ich merkte bald, dass es mich wieder zurückzieht in eigene Herausforderungen.
Vincenz Droux

Kurz darauf kommt die Offerte, als Head of Design zur BMC AG zu wechseln. Doch selbst als Verantwortlicher für das Produkt- wie auch das Corporate Design, den Markenauftritt der Marken BMC, Bergamont und Stromer ist ihm der Rahmen zu eng gesteckt, der Entscheidungsweg zu lang. „Gefühlt dauert es Jahre, bis Informationen oder Feedback vom Kunden beim Entwickler landen. Und dann kommt noch der Effekt ‚Stille Post’ dazu... ich merkte, dass es mich weiterzieht und zurück in eigene Herausforderungen. Das ist nicht meine Welt, aber welche meine ist, wusste ich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Meine Vorstellung war eine Firma, bei der ich nicht nur den Design-Part unter mir hätte, sondern auch selbst bestimmen könnte, ob ich den Irrsin der sich immer schneller drehenden Modelljahre mitmachen möchte. Ob ich noch Kompromisse bei der Komponenten-Wahl eingehen möchte. Ein Unternehmen, in dem ich selbst die Marketingmaßnahmen ergreife und die Vertriebswege festlege.“ Er zuckt mit den Schultern. „Einfach eine runde Sache halt.“

Nach zwei Jahren scheidet er bei der BMC AG aus und nimmt mit seiner Agentur wieder Aufträge entgegen. Er entwickelt Produkte für andere Firmen, spielt aber weiterhin mit eigenen Projekt-Ideen. Und verwirft sie regelmäßig wieder. Ein Gedanke aber lässt ihn nicht mehr los.

Eine Vision, so hartnäckig um Beachtung bettelnd wie ein hungriger Straßenköter. Sie zieht die unvermeidbare „Was wäre wenn...“-Frage nach sich, die Droux in höchste Umsetzungsbereitschaft versetzt.

Was wäre wenn... – man den Dämpfer im Rahmeninneren platzieren würde? Und zwar nicht um des Versteckens willen. Droux’ Denkvorgang ist das Resultat aus Überlegungen zu Herausforderungen, die er im Agenturgeschäft zu lösen versuchte: Wie könnte ein besonders verwindungssteifer Hinterbau entstehen? Wie ein besonders tiefer Schwerpunkt erzeugt werden? Auf welche Art könnte man bei einem Fully-Rahmen in Größe S noch einen Flaschenhalter für eine große Trinkflasche unterbringen? Die Lösung aller Probleme, so scheint ihm, bestehe in der Kompaktheit der Kinematik und in der damit einhergehenden Konsequenz der Integration des Dämpfers ins Rahmeninnere und die dadurch mögliche Kürzung und breite Abstützung der Umlenkhebel. Nicht zuletzt böte dieser Ansatz in aller Augenscheinlichkeit ein optisches Alleinstellungsmerkmal, das die Menschen stutzen ließe. „Dieses Gefühl ist berauschend. Du bist irgendetwas auf der Spur, wie ein Detektiv, der monatelang recherchiert. Und dann liegt sie plötzlich vor dir, die Erkenntnis. Diese Augenblicke sind so prickelnd, phantastisch, wie auch selten genug. Sich selbst mit einer Idee zu verblüffen, die die Vermutung aufkommen lässt, okay genau dieser Gedanke, diese Lösung hatte ich dann jetzt wohl als erster Mensch auf Erden. Und wenn etwas später, bei nüchterner Betrachtung und Abwägung aller möglichen Herausforderungen, sich dann wirklich das Potential herauskristallisiert, weiß man, okay damit bin ich auf gutem Weg, das könnte passen.“ Dieser Gedankengang markiert die Geburtsstunde des Fullies, das wie ein Hardtail aussehen sollte.

Ich war nie der ‚Designi’. Design um des Designs willen liegt mir fremd. Mich interessierte seit jeher der Paradigmen-Wechsel, der dadurch möglich wird.
Vincenz Droux

Bold Cycles: Entwicklung und Wachstum

Droux setzt sich also an den Schreibtisch und skizziert. Recherchiert im Patentamt, ob und welche Lösungen es bereits gibt. Erst dann weiht er die ersten Personen ein. Mit seiner Idee, den Dämpfer im Rahmen zu platzieren, trifft er einen Nerv und findet in der vom Einheitsbrei gelangweilten Bikebranche rasch Mitstreiter. Oliver Kreuter, Lehrer für Bildnerisches Gestalten und Kunstgeschichte und freischaffender Grafikdesigner, stößt als erster Mitarbeiter zu Droux. Bold wird von der 1- zur 2-Men-Show. Kreuter konzipiert den Onlineshop. Droux konstruiert und bringt den Namen Bold ins Spiel. Kühn, keck, mutig in seiner Bedeutung, dazu kurz, einprägsam und frei zur Interpretation. Der Name setzt sich durch. Könnte also „Proceed and be bold!“, der Zuruf, mit dem Zuschauer in den 70er Jahren Tour de France-Fahrer über den nächsten Pass anfeuerten, zum Hashtag für die Marke umfunktioniert werden? Droux und Kreuter grübeln über Laufradgrößen, Farben und die frühe Weichenstellung auf brandneue Standards wie Boost. Innovation, einhergehend mit einem hohen Risiko - oder lieber Sicherheit? Die junge Firma wählt das Risiko – und geht dafür bei der Konstruktion auf Nummer sicher. Hunderte Berechnungen nimmt Droux im CAD-Programm Solid Works vor. Probiert dieses. Lässt jenes weg. Gibt hier 2 mm zu, zieht da 0,5 mm ab.

Jedes Mal aufs Neue zerstört er mit ein paar Klicks die beinahe perfekte Harmonie und stellt dann fest, dass es keinen einfachen Weg zurück gibt.

Es sei, sagt Droux, wie beim Spiel mit dem „Cube“ des ungarischen Designers und Architekten Ernō Rubik: „Du drehst und wendest und verschiebst das Problem so lange, bis es keines mehr ist.“ Als er sich sicher ist, die definierten Fahreigenschaften mit einer umsetzbaren Konstruktion in Einklang gebracht zu haben, lässt er von einem befreundeten Biker noch einmal alle Berechnungen prüfen. Der emeritierte Physiker gibt grünes Licht – ein antriebs- und bremsneutrales, dabei ausgewogenes aber akiv-straffes Fahrwerk ist geboren. Aus den Ergebnissen der Diskussionen und Berechnungen reifen in wenigen Monaten vier Modelle von CC bis Enduro heran. Droux und Kreuter erkennen, dass sie sich ressourcenbedingt fokussieren müssen. Sie wählen jene, welche sie selbst fahren würden: das Linkin Trail Classic mit 130 mm Federweg, etwas später kommt das Linkin Trail LT mit 154 mm Federweg dazu. Beide Rahmen werden sowohl 29’’- als auch 27,5+-Laufräder aufnehmen, wobei Bold auch in diesem Punkt zu den absoluten Vorreitern gehört.

Schon auf den gipsartigen Prototypen wird die Körperhaftigkeit der Rahmen sichtbar. Eine Spannung und Sprungkraft, die durch sich verjüngende Linien aufgebaut wird, gleich Muskeln, die an Gelenken andocken.

Droux reaktiviert seine Kontakte zum Bieler Komponentenhersteller DT Swiss. Die Fahrwerksspezialisten springen nicht nur auf, sondern stellen sogar in Aussicht, ihren XM 313 Dämpfer analog der Anforderungen zu modifizieren. In der nahegelegenen 3-D-Druckerei eines Schweizer Carbonherstellers lassen Droux und Bold erste Modelle des Rahmens und der Umlenkhebel fertigen. Selbst auf diesen gipsartigen Prototypen wird bereits die Körperhaftigkeit des Rahmens sichtbar, die Spannung und Sprungkraft, die durch sich verjüngende Linien aufgebaut wird, gleich Muskeln, die an Gelenken andocken. „Im Endeffekt“, sagt Droux, „ist unser Rad eine Carbon-Box mit Innenleben.“ Es ist ein Verweis auf den japanischen Architekten und Pritzker-Preisträger Tadao Ando, den Droux als Vorbild nennt. Dessen Arbeit lernte er während eines Workshops in der „Fabrica“ dem Communication Research Center der Benetton Group in Terviso kennen. Die Fabrica zog unter der Ägide des Fotografen Oliviero Toscani Schaffende aus aller Welt an, das Magazin color war Ausdruck ungebändigter, radikaler Kreativität. Die Villa Pastega Manera, die auch heute noch den Thinktank und eine Bibliothek beherbergt, wurde in den 90ern von Ando restauriert. Konsequenter Minimalismus zieht sich als roter Faden durch Andos Werke. Er greift auf einfache geometrische Formen zurück und arbeitet häufig mit Wiederholungen dieser. Auch Bold bedient sich dieses Designs. In den geraden Rohrformen, die nach wie vor die stabilste Verbindung darstellen, ist der Urvater der Rahmenformen, der Diamant als Dreieck erkennbar. Die Komponenten treten in den Hintergrund, nur am Steuerrohr offenbart sich das Innenleben des Rahmens. Droux will, so schildert er es, den Systemgedanken des Fahrrads wiederbeleben, die Einheit von Rahmen und Komponenten. Durch die Austauschbarkeit seelenloser Produkte wandere das Augenmerk unweigerlich auf die Funktion der Produkte. „In der Fahrradbranche herrscht eine Fixierung auf Komponenten. Das ist zum Teil natürlich verständlich, weil Lieferanten wie Sram oder Shimano selbst starke Brands sind. Im Automobil-Bereich ist die Ausgangslage eine ganz andere. Die wenigsten Kunden kämen auf die Idee, ein Fahrzeug explizit deshalb zu kaufen, weil die Bremssättel von Hersteller X geliefert werden.“

Gerade Rohrformen stellen nach wie vor die stabilste Verbindung darf. Im Bold Linkin Trail ist der Diamant, der Urvater der Rahmenformen, als Dreieck erkennbar.

Für Bold Cycles’ Carbonbox sieht Droux sich in der Schweiz nach einem Supplier um, muss aber rasch einsehen, dass die räumliche Nähe der wenigen Kandidaten das Know-How, das in Taiwan vorhanden ist, und das er für seine Rahmen benötigte, nicht aufwiegen würde. Er besteigt ein Flugzeug nach Fernost, um unter den Carbon-Factories dort einen geeigneten Supplier für sein Projekt zu gewinnen. Vier Factories sieht er aufgrund ihrer Fertigungsqualität in seiner engeren Auswahl. Ein bekannter Carbonspezialist aus Taiwan sagt begeistert zu und tüftelt mit Droux gemeinsam an Lösungen für die neuartige Konstruktion und räumt der kleinen Marke viel Knowhow, eigenes Engagement und einen eigenen Produktionsslot ein. 50 – 80 Rahmen pro Bestellung sind es, die flexibel an die Bedürfnissen des Kunden angepasst werden. Respektvoll spricht Droux von seinen taiwanesischen Geschäftspartnern und schildert den Entstehungsprozess eines Rahmens.

Aufgepasst! Alle, die sich für TechTalk interessieren (oder ein wenig mit Insiderwissen angeben wollen): Auf Vimeo vimeo.com/user39653001 präsentiert Bold Cycles in ansprechender Art und Weise die Innovationen rund um seine Räder.

Die Herstellung eines Bold-Carbonrahmens in Taiwan

Hauchfeine, japanische Carbonfasern werden zum unidirektionalen Prepreg-Gelege verarbeitet. Auf dieser Meterware werden die Schnittmuster aufgebracht und die einzelnen Teile – in 300 präzise definierten Einzelformen, auf Basis des komplexen, digitalisierten Carbon-Layups, ausgeschnitten. Die jeweiligen Zuschnitte werden um die positive Stützform aus PU-Schaum gewickelt, die dann durch Druck an die negative Mould aus Stahl gepresst wird. Bei 70 – 150° werden die einzelnen Teile dann in drei Phasen – die ersten beiden zu 60 Sekunden, die dritte zu 2.580 Sekunden - gebacken. Der Druck nimmt dabei von Phase zu Phase zu. Pro Tag werden aus einer Mould etwa 5 bis 10 Rahmen entformt. Dabei bestehen sowohl Hauptrahmen wie auch Kettenstrebe aus einer Form und durchgängigem Layup. Die Sitzstrebe wird aufgrund der komplexeren Form und der damit verbunden schwierigeren Entformung aus drei Teilen zusammengesteckt- und geklebt. Anschließend werden die Rahmen entgratet und verschliffen, zuletzt lackiert.

Der Herstellungsprozess ist die Einstiegshürde in den Markt, da die Fertigung individueller Moulds sehr kostspielig ist. Pro Rahmengröße werden mit diesem aufwendigen Herstellungsverfahren jeweils zwei Moulds für den Hauptrahmen fällig, eine für die Aussenform und eine für die EPS Stützgeometrie zur perfekten Kontrolle und Maßhaltigkeit der Rahmen-Innenrohre, außerdem größenübergreifend zwei Moulds für den Hinterbau sowie deren Innenform. Zur Erstellung einer Produktfamilie in 3 Größen kommen so schnell mal Kosten von über 100.000 Franken zusammen. Diese Initialkosten konnte Droux zusammen mit seinem Vater Robert aus eigenen Mitteln stemmen. Das Familienunternehmen nimmt Fahrt auf.

Was haben Catherine, Duchesse of Cambridge, Herzogin Meghan Markle und Bold-Fahrer*innen gemeinsam? Den Hersteller für die Kunststoffteile ihrer fahrbaren Untersätze! Bold Cycles’ Dämpfer-Abdeckung stammt aus demselben Haus, in dem die Kunststoffteile für die Automobile des Offiziellen Hoflieranten der britischen Königsfamilie hergestellt werden.

Die Fertigung individueller Moulds ist sehr kostspielig. Zur Erstellung einer Produktfamilie in 3 Größen kommen so schnell mal Kosten von über 100.000 Franken zusammen.

Bold hat auch auf weitere hochstehende Zulieferer zurückgegriffen: Der Hersteller, der die Kunststoff-Teile für Bentley produziert, fertigt die Abdeckung, hinter der der Dämpfer versteckt ist. Alex Heiniger, ein befreundeter Biker, produziert beim Bieler Werkzeughersteller Nimoulda den transparenten Sag-Indicator, über den der Dämpfer eingestellt wird. Bold versucht mit seinem Team, sein Netzwerk zu nutzen, um andere kleine Marken mitzutransportieren, wie etwa Yep, den Ein-Mann-Betrieb von Andrea Chiesa aus Bioggio im Tessin. Der Hersteller von versenkbaren Sattelstützen winkt ab: die benötigte Stückzahl könne er nicht produzieren und vergrößern wolle er sich nicht. Keine Kompromisse einzugehen ist eine Haltung, die er mit Bold teilt. Da ist er wieder, der Gedanke des Markenkerns.

Droux ist der Erfüllung seines Traums nun ziemlich nahe. Von der Idee bis zur Umsetzung entstammt nahezu alles seinem Kopf, in enger und beflügelnder Zusammenarbeit mit seinem Team: Name, Form und Design des Rahmens, die Geometrie, die Spezifikationen, das Corporate Design. Doch mit dem fertigen Produkt fängt die Arbeit erst an: Im Mai 2015 stellen sie das fertige Produkt den ersten Fachmedien vor. Die Reaktionen sind euphorisch. In rascher Folge räumt Bold Auszeichnungen und Testsiege ab. In der Kundendatei stehen nun die Namen einiger Chefredakteure. Die Marke verzeichnet schnell Zuwächse. Die ersten Interessenten fragen diskret an, ob Droux bereit wäre, die Marke zu verkaufen. Bold Cycles wird für einen Swiss Economic Award nominiert. Droux ist sich nicht sicher, ob ersteres oder letzteres den Ritterschlag bedeutet.

Live bold or italic, never regular!

Bold Cycles: A riders’ brand

Das logische Ende dieser Geschichte kann nur so aussehen: Droux schneidet mit seinem Transporter die löchrigen Asphaltkurven, die ihrerseits von Wanderwegen geschnitten werden. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir den Grenchenberg auf knapp 1.400 m. Eiger, Mönch und Jungfrau grüßen von der Gegenüberseite des Mittellandes. Wie üblich liegt noch mehr Schnee als vermutet, die ersten Meter des Weges straucheln wir bergab. Über Steine, Wurzeln, Kehren fliegen wir im Halbdunkel. Es ist der perfekte Test-Trail, den die Bold-Mannen in ihrer Nachbarschaft wissen. Unten breitet sich zusammen mit dem Grinsen auf den Gesichtern auch ein unbeschreibliche Wohlsein aus. Dieses Gefühl unter Bikern, das suggeriert, man kenne sich schon ewig. Oder sei ganz einfach mit den richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

In den Bold Bikes sind die Persönlichkeiten seiner Macher in aller Konsequenz spürbar. Das ist es, was Bold in erster Linie von seinen uniformen Mitbewerbern unterscheidet. Nicht der versteckte Dämpfer, der ist nur das (un-) sichtbarste Resultat davon.

Das würdevolle Ende eines wundervollen Besuchs: Vom Grenchenberg aus sind Eiger, Mönch und Jungfrau zum Greifen nah.

Weitere Informationen

Der Clou: Der Weg zum Bold

Auch vertriebsseitig geht Bold Cycles einen interessanten Weg und setzt auf eine Mischung aus E-commerce und ganz persönlicher Betreuung.

Im Konfigurator auf der Homepage lässt sich das gewünschte Bike konfigurieren. Dieses wird dann

„Es ist eine Win-win-Situation: Detailliebe und der Wunsch nach Individualität sind der kleinste gemeinsame Nenner unserer Gäste und der Kunden von Bold. Die Highend-Bikes passen einfach zu unserer Philosophie. Bold profitiert davon, dass unsere Gäste auf die Marke aufmerksam werden. Die Testbikes können direkt auf den umliegenden Trails – die übrigens der Sohn des Architekten des Hotels vor über hundert Jahren schon anlegen ließ - testen oder damit das ganze Oberengadiner Hochtal mit den Trails rund um den Piz Nair und die Corviglia oder hinab ins Bündner Südtal, das Puschlav, hinüber nach Livigno... unsicher machen.”, erzählt Hotel-Direktor Martin Müler. Und hebt die Vorteile für sein eigenes Haus hervor: “Unser Hotel wiederum bekommt über dieses tolle Angebot neue Gäste, die oftmals zu Stammgästen werden – nicht nur, weil das Tourenangebot, wie schon erwähnt, nahezu unerschöpflich ist. Sondern weil sich die Lebenswelten und Werte unserer Kunden und Gäste größtenteils sehr ähneln.“

Update: Dieser Artikel erschien 2017 zuerst im Mountainbike-Magazin “world of mtb” (www.worldofmtb.de). Mittlerweile hat sich einiges getan:

Alle Infos zu den Rädern, zur Terminvereinbarung und möglichen Testmöglichkeiten finden sich auf www.boldcycles.com

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